Ein Heim in der Fremde
Die türkische Schriftstellerin Aslý Erdoðan ist ein halbes Jahr lang «writer in residence» in Zürich
Lesen kann man auch in ihrem Gesicht: die Autorin Aslý Erdoðan. (Bild: NZZ / Adrian Bär )
Seit Anfang Dezember lebt die 1967 in Istanbul geborene Aslý Erdoðan als Gast des Literaturhauses und der Stiftung PWG in Zürich. Die politisch engagierte Autorin erfährt die Stadt nicht zuletzt als Insel des Friedens.
Angela Schader
In einem Interview beschreibt Aslý Erdoðan die Städte, in die ihr unruhiges Leben sie bisher führte, als «glitzernde Welten, in denen ich mich unweigerlich verlor». Glitzernder als in der Vorweihnachtszeit hätte sich Zürich bei ihrer Ankunft im Dezember nicht präsentieren können; aber statt sich zu verlieren, hat sie sich unverhofft schnell zu Hause gefühlt. Weil sie Kolumnen für eine kurdische Zeitung schreibt, war Erdoðan in der Türkei zunehmend unter Druck ge raten: «Zürich war eine Zuflucht für mich; ich habe hier wieder zu schreiben begonnen, es ist fast ein Luxus, sich der Literatur zuwenden zu können. Ich muss gestehen, dass ich noch nicht sehr viel von der Stadt gesehen habe, ich habe ein wenig Gewissensbisse deswegen; aber ich war selbst überrascht, wie schnell ich mir hier ein Heim schaffen konnte. Ich schreibe wieder, ich habe einen geordneten Tagesablauf – wie die Schweizer.»
Nur schlafen konnte sie nicht während der ersten Wochen: «Das hatte ich aus der Türkei mitgebracht, die Furcht, nachts verhaftet zu werden, sass mir noch im Nacken. Ich sah in Zürich alle Sonnenaufgänge, die der Dezember brachte; ich habe beobachtet, wie das Licht sich wandelt, habe dreizehn Seiten lyrische Prosa nur über Dunkelheit und Helle geschrieben. In der Türkei wäre mir das unmöglich gewesen.»
Doppelte Berufung
Allerdings lässt die Situation in der Heimat die Autorin auch hier nicht los. Die AKP—Regierung, die mittlerweile so oft als Beispiel für eine geglückte Fusion von islamischen und demokratischen Prinzipien zitiert wird, geisselt sie für ihre Repressionspolitik gegenüber den Kurden: Tausende seien in den letzten zwei Jahren wegen politischer Aktivitäten festgenommen worden und sässen seither ohne Prozess in Haft. Mit kleinen, aus westlicher Sicht nicht ohne weiteres wahrnehmbaren Eingriffen würden in der Türkei demokratische Freiheiten beschnitten, derweil die regierungsnahen Medien mit bombastischer Rhetorik ein neues Grossmachtdenken propagierten, das ihr Angst mache.
So schreibt Erdoðan weiterhin für die kurdische Zeitung, obwohl sie diese Tätigkeit während des Aufenthalts in der Schweiz eigentlich hatte niederlegen wollen. «Wenn Hunderte als Ersatz bereitstünden, wäre es kein Problem; aber wenn man eine von ganz wenigen ist, trägt man Verantwortung.»
Es ist nicht das einzige Dilemma, das die doppelte Berufung als Schriftstellerin und als öffentliche Stimme mit sich bringt. Aslý Erdoðan hatte Ende der 1990er Jahre nach dem Erscheinen ihres Romans «Die Stadt mit der roten Pelerine» als Kolumnistin zu arbeiten begonnen, damals noch für die linke Tageszeitung «Radikal». Das Buch – derzeit das einzige von Erdoðans Werken, das in deutscher Sprache greifbar ist – basiert auf einem längeren Aufenthalt der Autorin in Rio de Janeiro, der zu einer existenziellen Grenzerfahrung geriet; die in einem Tag komprimierte Handlung erzählt von einer jungen Frau namens Özgür, die, haltlos und zutiefst versehrt, der letzten, tödlichen Umarmung der von Gewalt und Lebenslust vibrierenden Stadt entgegentreibt.
«Nach dem Roman hatte ich das Gefühl, ich würde verrückt; die Sätze hallten endlos in meinem Kopf nach. Ich war zu weit gegangen in der Vermischung von Realität und Fiktion, alles kam mir durcheinander. Ich dachte, dass die journalistische Arbeit mir einen Weg zurück zum Leben, zu den Menschen und zur Menschlichkeit bahnen könnte: In den Kolumnen ging es um andere Schicksale, es war scharf, klar, real, ich fühlte mich wie eine Ertrinkende, die wieder auftaucht. Aber das Dilemma bleibt – wenn ich politische Artikel über Leute schreibe, die im Gefängnis sitzen, schreibe ich in gewissem Sinn auch über mein eigenes Gefangensein. Wie altruistisch ist das also, wie ethisch? Ich weiss es nicht. Und ist Schreiben Zeugenschaft, oder ist es nur Selbstprojektion?»
Um ein ähnliches Problem kreist auch «Die Stadt mit der roten Pelerine», wo die Heldin die auf sie einstürzenden Erfahrungen und die eigene, implodierende Existenz durch literarische Arbeit zu bändigen versucht. «Özgür will ihren eigenen Weg bestimmen, ihre eigene Geschichte schreiben, aber die Geschichte reisst sie mit sich fort, und sie wird eine Sklavin, eine Gefangene dessen, was sie schreibt. Die befreiende Katharsis, die sie vom Schreiben erwartet, wird ihr eigener Tod sein; der Tod, von dem sie schreibt, holt sie auf der Strasse ein. Darin kommt nicht zuletzt auch ein Mass an Unglauben in die Schriftstellerei zum Ausdruck; was immer du schreibst, das Leben wird dir mit Vergnügen den Garaus machen.»
Mit Ende und Neubeginn, dem zähen Verwinden traumatischer Erlebnisse hat die Schriftstellerin mehr Erfahrungen, als einem Menschen lieb sein kann. Es gibt Punkte, bei denen man nicht über das Angedeutete hinaus nachzufragen wagt – die kalte, verschattete Kindheit etwa, oder die Ursache der chronischen Schmerzen, die Erdoðan auch weitgehend um ihr zweites Ausdrucksmittel, den Tanz, brachten; auf die entsprechende Frage folgt Schweigen, dann ein einziges Wort: Polizei. Es gibt andere Lebenslinien, denen man mit einiger Verblüffung folgt – die auf ihrem frühen Höhepunkt abgebrochene akademische Karriere etwa, welche die junge Frau nach einem Ingenieurstudium zur Physik und im von erst vierundzwanzig Jahren nach Genf ans Cern führte.
Verlorene Illusionen
Dort – davon zeugt ihr in deutscher Sprache vergriffener Erstlingsroman, «Der wundersame Mandarin» – wurde auch die Schriftstellerin Aslý Erdoðan geboren. Die in Genf handelnde Erzählung ist mit ihrer Thematik von Liebesverlust, Einsamkeit und Verletzung eine Art Prototyp für die thematisch wesentlich weiter gesteckte «Stadt mit der roten Pelerine»; allerdings enthält die deutsche Übersetzung zum Verdruss der Autorin nur die Hälfte des eigentlich aus zwei spiegelbildlichen Geschichten bestehenden Originals.
Nach vierzehn, fünfzehn Stunden konzentriertester Arbeit im Forschungsinstitut habe sie sich jeweils an das Manuskript gesetzt und fast die ganze Nacht hindurch geschrieben. Weil sie einsam war? «Ich war nicht wirklich allein, ich hatte Freunde, ging zu Partys, hatte sogar eine intensive Liebesbeziehung – aber innerlich war ich einsam. Ich war erst vierundzwanzig, ich war die einzige Frau, die einzige Türkin in einem Team von französischsprachigen Männern. Frauen waren am Cern generell in der Minderzahl und entsprechend exponiert, und das Konkurrenzdenken, die Aggressivität waren unerträglich. Man kommt dorthin, erwartet lauter Einsteins und Heisenbergs – und was man findet, sind Geschäftsleute und Politiker, jegliche Art von fiesen Tricks, Leute, die sich gegenseitig die Karriere absägen, Daten stehlen; es war hart.»
Aslý Erdoðan weiss, dass sie wohl einen Bestseller hätte landen können, wenn sie über diese Interna geschrieben hätte, doch solche Ambitionen lassen sie kalt. «Das bisschen Berühmtheit, das mir zugestossen ist, habe ich nicht gewählt; ich sabotiere es eher – und als Türkin für eine kurdische Zeitung zu schreiben, ist die denkbar beste Sabotage für meine literarische Karriere: Ich habe deswegen viele Leser verloren.»
Aslý Erdoðan liest am 9. Februar um 20 Uhr im Literaturhaus Zürich. Die Veranstaltung moderiert Alice Grünfelder, aus den Werken trägt Rebekka Burckhardt vor.
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