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Wo die Tragödie am dunkelsten ist, herrscht größte Stille

Der Kampf türkischer Intellek—tueller um Meinungsfreiheit entscheidet sich nicht allein am Paragraphen 301, glaubt Asli Erdogan. Die Kurdenfrage ist noch immer das wichtigste politische Thema.
Ihr in diesem Jahr auf Deutsch erschie¬nenes Buch „Die Stadt mit der roten Pe¬lerine” spielt in Brasilien. Sie haben dort Mitte der neunziger Jahre gelebt. Warum sind Sie aus der Türkei wegge¬gangen?
Rückblickend gesehen, war es eine po¬litische Entscheidung, vielleicht sogar das Politischste, das ich jemals gemacht habe. Für meine Karriere, für meinen Le¬benslauf als Schriftstellerin war es je¬doch nicht gut. — ♦
Was war passiert? ,
Ich lebte in Istanbul damals mit Afrika¬nern zusammen. Es gab Anfang der neunziger Jahre viel Rassismus in der Türkei, an afrikanische Immigranten hat sich die türkische Gesellschaft bis heute kaum gewöhnt. Eines Tages wurden hun— die von sich sagen können, dass sie we¬gen unseres berühmten Artikels 301 über die „Verunglimpfung der türkischen Nati—on” bedroht worden sind und deshalb das Land verlassen mussten. Ich wollte einfach die Rechte der Afrikaner verteidi¬gen, aber dafür interessierten sich da¬mals nur wenige Menschen in der Tür¬kei. Dennoch war meine Entscheidung politisch und das Exil natürlich sehr röal.
Haben Sie die damals erlebte Diskrimi¬nierung der afrikanischen Immigranten jemals literarisch verarbeitet?
Ich dachte, ich würde es tun; wenn ich in Brasüien bin. Aber ich tat es nicht. Als ich nach zwei Jahren in die Türkei zu¬rückkehrte, hatte sich das Land sehr ver¬ändert — zumindestens an der Oberflä¬che. In den Istanbulér Straßen, durch die ich nach Demonstrationen vor der Poli¬zei geflüchtet bin, waren auf einmal über¬all Cafés, alles wirkte viel offener. Mei¬nen ersten Streit hatte ich mit einem sehr bekannten Journalisten; .Er behauptete, dass es keinen Rassismus in der Türkei gebe. Damals standen einfach andere Themen im Vordergrund, vor allem der Konflikt zwischen den Türken und den Kurden und die Aktivitäten des soge¬nannten tiefen Staates.
ben, die von Milizionären vergewaltigt worden waren. Das Schicksal des einen Mädchens beschrieb ich in einem sehr li—terarischen Ton, das des zweiten journa—listisch, bei der dritten habe ich nur den Autopsiebericht zitiert: Sie war fünfzehn Jahre alt, geistig zurückgeblieben und wurde mit einem Bajonett verletzt.
Ich wurde damals auch kritisiert, weil

auchMnen Prozess gegen mich gegeben. Dennin der Reg&t kommen die Polizis¬ten ungeschpren davon. Dann jedoch hät¬ten sie mich ”verklagen können, da ich sie eines Vergehens beschuldigt hatte, des¬sen sie.itfdtit schtildig gesprochen” wor¬den siiid. Ich hätte ja nicht beweisen kön¬nen, dass sie den Mann gefoltert, hatten. Der Polizei Jrann man nur schwer etwas nachweisend
Artikel 30l ist kürzlich reformiert wor—den, er scfieint nun weniger hart zu sein.
Das ist doch alles nur Heuchelei. Ich bin immer mitmarschiert, wenn gegen den Artikel demonstriert worden ist. Viel wichtiger finde ich inzwischen aber die Frage; was aus all den’anderen, weit¬aus strengeren Gesetzen, wird, die die Freiheit des Denkens unterbinden wol—len.. Anstatt zum Beispiel über das Anti— terrorgesetz zu diskutieren, das immer wieder kurdische Journalisten ins Ge—fängnis bringt, tanzen wir dauernd um Artikel 301 herum. Dabei musste wegen ihm noch niemand ins Gefängnis gehen. Hrant Dink wäre der Erste gewesen, wenn er nicht erschossen worden wäre. Inzwischen finde ich es sogar wichtig, dass sie es ablehnen, ihn ganz abzuschaf¬fen. Es zeigt, wie heuchlerisch ihr Kampf für mehr Demokratie ist.
Wessen Kampf meinen Sie?

9.10.2008
GERMANY
Karen Krüker


 

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