Ein türkischer Blick auf die Welt
Als „Die Türkische Bibliothek betitelt ist eine auf 20 Erzählbände ausgelegte Buch¬reihe des Zürcher sver¬lags. Nicht nur, weil die Türkei bei der kommenden Frankfur¬ter Buchmesse das Gastland sein wird, lohnt es sich, einen Blick auf dieses uns durch viele einge¬wanderte Menschen nahe, und doch ferne Land zu werfen.
Gelegenheit dazu gibt eine Ausstellung in der Zentralbiblio¬thek über die Entwicklung der türkischen Literatur im 20. Jahr¬hundert. Man trifft auf Werke junger Autoren und Autorinnen und bereits klassische Romane, die erstmals in deutscher Über¬setzung vorliegen. So auch „Die Stadt mit der roten Pelerine, von Asli Erdogan, die der Einla¬dung der Literarischen Gesell¬schaft OWL zu einer Lesung in der Stadtbibliothek gefolgt ist.
Ihr als zweiter Roman 1998 er¬schienenes Buch bildet einen un¬gewöhnlichen Ausgangspunkt zur Beschäftigung mit der Tür¬kei: Es spielt in Rio de Janeiro. Diese oft klischeeverfärbt wahr¬genommene Stadt wird nahezu körperlich dargestellt als Wider¬part der Protagonistin özgür, die an einer schriftlichen Selbst¬reflexion arbeitet, die ein Kern¬stück der Erzählung darstellt.
Eine „launische verführeri¬sche Gaunerin, in der „die Ge¬setze der alten Welt keine Gültig¬keit besitzen, so tritt die von Hunger und Gewalt geprägte Stadt auf, die der mit sich selbst beschäftigten özgür „die Persön¬lichkeit in Fetzen reißt.. Einer metaphernreichen, unbarmher¬zigen Erzählweise bedient sich die Person. Die Erzählerin ver¬mittelt und mildert, doch im Verlauf des Buchs nähern sie sich bis zur Gleichheit an.
Bis zur Besessenheit bedrängt von der Allgegenwart des Todes sucht özgür nach ihrem „Null¬punkt, an dem sie von dem Ge¬sehenen gereinigt würde. Sie sieht sich selbst als Leiche. Gele¬gentlich spielt der Roman mit Querverweisen auf den Or¬pheus—Mythos — die Autorin
Reden über Rio: Schriftstellerin Asli Erdogan spricht über ihren zwei¬ten Roman „Die Stadt mit der roten Pelerine. FOTO: RAINER SCHMIDT rang beim Schreiben mit einer le¬bensbedrohenden Krankheit.
Ernst und konzentriert sitzt die schlanke 40—Jährige neben dem Übersetzer und Schauspie¬ler Recai Hallaç, der aus der deut¬schen Fassung vorträgt und sich als überaus gewandter Dolmet¬scher in der Fragestunde er¬weist.
Mit Fragen zur Emanzipation der Frau in der Türkei scheint die Autorin nicht glücklich zu sein. Doch man erfährt Details aus der Biografíe der Autorin. Sie studierte Physik, beendete aber einen Aufenthalt am CERN—Institut vorzeitig, um sich der Literatur zu widmen.
Darauf lebte sie im „Ghetto der Afrikaner in Istanbul, schrieb einen kritischen Artikel über eine Internierung, worauf¬hin sie Rio als Fluchtpunkt an¬steuerte. Nach zwei Jahren fühlte Erdogan sich dort immer noch fremd, hatte zwar ihren ver¬trauten „Istanbulpunkt am Meer entdeckt. Doch so etwas ist nur eine Äußerlichkeit, die eine Denkerin nicht zufriedenstellt.
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