Frei aber tödlich isoliert
Asli Erdogan ist eine außergewöhnlich feinfühlige und scharfsichtige Autorin, ihre Romane sind vollendete Werke. So hymnisch äußerte Literaturnobelpreis¬träger Orhan Pamuk sich über seine schreibende Kollegin, die heute Abend um 20 Uhr auf Einladung des Dresdner Literaturbüros im Erich—Kästner—Mu¬seum ihren in der „Türkischen Biblio¬thek des Züricher sverlags er¬schienenen Roman „Die Stadt mit der roten Pelerine vorstellt.
In ihrem neuesten Werk führt Erdogan nach Rio de Janeiro. Özgür, eine intro¬vertierte junge türkische Akademikerin, kann sich von der ebenso faszinierenden wie bedrohlichen Stadt nicht lösen, ja sie fühlt sich vielmehr angezogen von der scheinbar grenzenlosen Freiheit und der Lebensfreude der brasilianischen Metro¬pole. Hier hat sie die Möglichkeit, sich von den Erwartungen und Auflagen ih¬rer Sippe und vom traditionellen Frau¬enbild ihrer Heimat zu befreien. In der Tat ist sie in Rio „frei — aber auch töd¬lich isoliert. Dem Tod entgegengehend erlebt sie Abenteuer, in denen sie zuneh¬mend überfordert ist von der Weltan¬schauung, dem Lebensstil und der Le¬bensgier des Großstadtsumpfes.
Nicht wie eine Touristin führt Özgür den Leser durch die Labyrinthe dieser Großstadt, sondern wie eine Migrantin. die das zunächst Fremde als Vertrautes und Eigenes akzeptiert. Gleichzeitig ist die Stadt Impuls für ihr Schreiben und für die Schöpfung ihrer fiktiven Doppel¬gängerin Ö. — die beiden Erzählebenen, auf mannigfache Weise miteinander ver¬flochten, spiegeln sich ineinander. Pas¬sagen, die aus einem Reiseführer stam¬men könnten, folgen surrealen Szenen, satirische Momente wechseln sich mit Zeitungsmeldungen ab. Die Reise in die Straßen Rio de Janeiros, immer begleitet von brasilianischen Rhythmen, führt mitten hinein in die Tiefen der Stadt mit ihren aufmüpfigen Favelas.
Geboren wurde Asli Erdogan 1967 in Istanbul. An der dortigen Bosporus—Uni¬versität studierte sie Informatik und Physik. 1990 gewann Asli Erdogan den viel beachteten Yunus—Nadi—Preis. Vier Jahre später gab sie ihre Karriere als Physikerin auf und konzentrierte sich auf das Schreiben. 1996 erschien ihr erster Roman „Mucizevi Mandarin (Der wundervolle Mandarin), seither lebt sie als freie Schriftstellerin in Istanbul. Er¬dogan ist Mitglied der türkischen Schrift¬stellervereinigung sowie Gründungsmit¬glied des Kunst— und Literaturforums von Diyarbakir.
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