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Tabus wischen Leben und Tod

Die Heldinnen heißen Özgür sowie Ar— manoush und Asya; ihre Geschichten erzählen ebenso von Gegenwart und Vergangenheit der Türkei wie sie von Einsamkeit, Verzweiflung und Sehn¬sucht künden, die Menschen dieser Er¬de fühlen. Im mörderischen Dschungel Rio de Janeiros wie auf dem American Way of Life zwischen Arizona und San Francisco. Und natürlich in Istanbul, der uralten, melancholisch toleranten Metropole auf der Grenze zwischen Europa und Asien, in der Skurril—Sein nicht auffällig scheint. Und Verdrän¬gung wie andernorts funktioniert...
Ein Literaturnobelpreisträger ist in jedem Fall eine perfekte Adresse. Sein Lob taugt als Bürgschaft, wirkt ver—kaufsfördernd. Zumindest aber schärft es die Aufmerksamkeit, wenn Orhan Pamuk über Asli Erdogan behauptet: „eine außergewöhnlich feinfühlige und scharfsichtige Autorin.” Von Elif Sha— fak sagt er gar, sie sei „die beste Auto¬rin, die die Türkei im letzten Jahrzehnt hervorgebracht hat”. So, sehr ge¬spannt, greift man zu den Büchern der Damen, die beide in flammend roter Aufmachung daher¬kommen — und unter den vielsagend rätsel¬vollen Titeln „Die Stadt mit der roten Pelerine” sowie „Der Bastard von Istanbul”.
Damit jedoch hören die Gemeinsamkeiten gleich wieder auf. Denn bereits ihre Biografien trennen Erdogan und Shafak eher, als sie sie schwesterlich zusam— die Ankunft von Armanoush, die tür—kisch—armenisch—amerikanische Wur¬zeln hat und heimlich zu den fernen Verwandten nach Instanbul gereist ist, räumt mit Lebenslügen der heutigen türkischen Gesellschaft auf. Vom ge—leugneten osmanischen Genozid an den Armeniern über die widersprüchli¬che Rolle der Frau bis zum Umgang mit dem Inzest.
Auch Erdogans düsteres Porträt ei¬ner jungen Türkin, die zunächst als Touristin ans andere Ende der Welt geraten ist, und dann, wie von wuchern¬den Urwaldpflanzen gefesselt, bleibt, bis sie von einer eher verirrten Kugel tödlich getroffen wird, kennt kein Ta¬bu. Lässt an drastischer Schilderung aller existenziellen Bitterkeit des Da¬seins im vermeintlichen Paradies nichts zu wünschen übrig. Nur haben Fremde und Exotik von der Prosa der Autorin Besitz ergriffen. Im Wechsel zwischen den quasi realen Notizen aus den lähmenden Alltagen Özgürs und Passagen des albtraumhaft grauenvol¬len und dabei wunderschönen Romans, mit dessen Fertigstellung sie sich von der vereinnah—menden Erfahrung Rios loszureißen hofft, jon¬gliert Erdogan bilder¬reich, sprachgewaltig und gefährlich mitrei¬ßend mit Schicksalen, Wörtern, Sätzen. Und baut einen magischen Kosmos auf, in dem nicht verwundert, dass das tragische Ende der Protagonistin eine Erlösung ist.

7.7.2008
ALMANYA
Gisela Hoyer


 

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