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Von Bonbonpalasten


Mit der Verleihung des Literatur—No¬belpreises an Orhan Pamuk 2006 ist auch die Tür zur jüngeren türkischen Literatur aufgestoßen worden. Vermehrt sind in deutscher Ubersetzung neue, bisher unbe¬kannte Namen aufgetaucht, deren Bücher ein Bild von der türkischen Gesellschaft zeichnen, das schillernder, farbiger, widersprüchlicher ausfällt, als aktuelle Debatten um EU—Beitritt, Kopftuchverbot und Militärputsch erahnen lassen. Mit seinem neuen Roman Das Muse¬um der Unschuld geht Pamuk selbst mit gutem Beispiel voran. Im Spiegel einer unglück¬lichen Liebesgeschichte seines Helden Kemal Basmaci entwirft er ein vielschichtiges Porträt der Istanbuler Gesellschaft.
Pamuks neuerlicher Liebeserklärung an seine Heimatstadt steht Elif Shafaks jüngster Roman Der Bonbonpalast in nichts nach. Auch er spielt an dieser Schnittstelle zwi¬schen West und Ost, allerdings auf der an¬dern Seite des Bosporus. Hier an der Infor¬mantenstraße 88 liegt der Bonbonpalast: ein leicht heruntergekommenes Mietshaus, in dessen zehn Wohnungen sich ein farbiger sozialer Kosmos entfaltet. Das Haus steht am Ort eines alten türkisch—armenischen de aber auf das gemeinsame Ärgernis zurück: den ekelerregenden Müllgestank, der von einem ambulanten Müllplatz gleich neben dem Haus herweht. Wie ein böser Geist müffelt der Müll durch den Roman, und mit ihm fallen die Kakerlaken über das Haus her. Selbst eine gewagte Mauerinschrift kann nicht verhindern, dass das ganze Quartier den Dreck gedankenlos neben dem Bonbon¬palast ablädt. Urheber dieses Graffiti ist der Ich—Erzähler. Er wohnt in der Nummer 7, ein selbstverliebter Dozent, der sich aus der Wahrheit nicht allzu viel macht. Er mag es lieber fabulös: „Das Ersponnene ist genauso weit von der Wahrheit weg wie von der Un—wahrheit”, es zieht gleichsam um beide einen Kreis. Dem Roman steht dies bestens an.

«Das Ersponnene ist genauso weit von der Wahrheit weg wie von der Unwahrheit»

Über alle Müllberge hinweg besingt Elif Shafak ihr Istanbul als lebenspralle, pulsierende Stadt mit einem orientalischen Charme.

In dieser Hinsicht einen spannenden Per—spektivwechsel regt Asli Erdogans Roman Die Stadt mit der roten Pelerine an. Ihre Pro¬tagonistin Ozgür flieht das „beschauliche” Istanbul und tauscht es gegen Rio ein, dem „schönsten Ort der Welt” und zugleich ein Monstrum, dessen nackte Realität „sogar die grausamsten Horrorvisionen” übertrifft. Di¬ese fiebrige Stadt mit ihren Favelas ringsum an den Hängen lehrt Özgür hart zu werden, dem Elend ungerührt zu begegnen. Aber allmählich wird sie auch davon aufgefressen. Trotzdem weiß sie auf die mütterliche Fra¬ge am Telefon, warum sie nicht zurückkehre, keine rechte Antwort zu geben. Nur eines ist sicher: „Ich muss über Rio schreiben.” Ozgür arbeitet an einem Roman mit dem Titel Die Stadt mit der roten Pelerine. Sie schreibt, um sich größer zu fühlen, die Nerven zu bewah¬ren, Einsamkeit und Angst von sich wegzu¬rücken. Alles würde sie hergeben, nur dieses Manuskript nicht. So auch am Schluss, als sie auf dem nächtlichen Heimweg überfallen wird. Erst als es zu spät ist, dämmert es ihr,

5.11.2008
ALMANYA
Beat Azenauer


 

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